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In einer Zeit, in der sich viele Menschen trotz ständiger Erreichbarkeit einsam fühlen, beleuchtet Psychotherapeut und Dozent Dr. Till Langhammer ein komplexes psychologisches Phänomen: die Einsamkeit in Beziehungen. Till, der auf Gruppentherapien und chronische psychische Störungen spezialisiert ist, erklärt, dass sich das Gefühl der Einsamkeit oft nicht nur durch die Anzahl der Kontakte, sondern durch tiefer liegende, oft in der Vergangenheit verwurzelte Muster ergibt. Im Gespräch verrät er, welche Schritte man unternehmen kann, um Beziehungen aktiv zu pflegen und sich so Verbundenheit (auch in einer Metropole wie Berlin / München / Hamburg) wieder ins Leben zu holen.


platoniq: Kannst du dich kurz vorstellen?
Till: Ich heiße Till und habe eigentlich zwei Jobs. Ich bin vorwiegend an der Uni, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Rahmen von klinischer Psychologie und Psychotherapieforschung. Ein zweiter Job, der zeitlich weniger einnimmt, aber inhaltlich wahrscheinlich relevanter ist, ist Psychotherapeut in eigener Praxis, genauer gesagt in einer Praxisgemeinschaft. Hier habe ich mich auf Gruppentherapien spezialisiert.
platoniq: Was wäre ein guter Ratschlag an eine Person, die von Einsamkeit betroffen ist?
Till: Jetzt kommt natürlich der Therapeut in mir durch: Es kommt ganz drauf an! Es kommt wirklich ganz darauf an, was zur Einsamkeit führt. Ich kann mich einsam fühlen, weil ich wenig Personen um mich herum habe – der objektive Kontext ist einsam. Dann ist ein Tipp natürlich ein ganz anderer, als wenn (was bei mir viel mehr der Fall ist) Menschen sich einsam fühlen trotz vorhandener Beziehungen. Das ist natürlich eher ein psychotherapeutisches Thema.
platoniq: Wie kann man sich überhaupt einsam fühlen, wenn man Menschen um sich herum hat?
Till: Also, das kann mit Sicherheit viele Gründe haben. Wenn wir es aus therapeutischer Perspektive versuchen zu verstehen, wie man sich dahin entwickelt, dass man die Fähigkeit hat, sich einsam zu fühlen im Beisein anderer, dann gucken wir uns das als emotionales Muster an. Es ist ja offensichtlich nicht das Erleben, was sich einstellen sollte. Es ist also irgendeine Dysfunktion.
Till: Ich muss davon ausgehen: Wenn mir jemand erzählt, "Ich habe eine Partnerschaft und viele Freunde, ich fühle mich trotzdem oft einsam," dann stimmt da was nicht. Nehmen wir ein Beispiel: Ich sitze im Restaurant und unterhalte mich mit Freunden. Ich fühle mich dann einsam, abgetrennt von den anderen. Dann ist irgendetwas in der Interaktion passiert, was dieses Gefühl, "Ich fühle mich von anderen abgetrennt," aktiviert hat.
Till: Da müsste man zurückgehen auf alte Erfahrungen. Wenn mich zum Beispiel am Abendbrottisch als Kind nie jemand gefragt hat, wie mein Tag war, oder wenn ich mal erzählt habe, gesagt hat, "Das nervt mich" – dann kenne ich das, im Beisein zu sitzen und keiner interessiert sich für mich. Dann werde ich Gefahr laufen, in dieses Gefühl schnell wieder reinzurutschen, wenn ich als erwachsene Person in so einem Kontext sitze.
platoniq: Also Einsamkeit kommt quasi gar nicht nur aus dem Moment, sondern es kann auch ein altes Gefühl sein?
Till: Es ist aktuell da, aber es ist ein Wiedererleben von einer Erfahrung. Wenn ich mich einsam fühle im Beisein anderer, ist das nicht hilfreich. Das heißt, es ist irgendwie ausgelöst durch etwas, das irgendwo aus der Vergangenheit kommt, im Sinne von: Ich habe das gelernt, sonst würde ich mich nicht einsam fühlen.
platoniq: Du hast Muster angesprochen. Spielt die Angst vor Zurückweisung eine große Rolle bei Einsamkeit?
Till: Oft steckt die Angst vor Zurückweisung dahinter. Ich sitze im Restaurant und habe Sorge, dass die anderen irgendwann keinen Bock mehr haben, mit mir abzuhängen. Wenn diese Angst aktiviert ist, werde ich angespannt sein, vielleicht krampfhaft witzig oder ich verstumme.
Till: Und dann entstehen so selbst erfüllende Prophezeiungen. Ich habe Sorge, zurückgewiesen zu werden. Daraus entsteht wegen dieser Angst ein vielleicht komisches Verhalten. Die Leute finden mich komisch und ich werde zurückgewiesen. Das ist oft wie ein Kreislauf.
platoniq: Was rätst du jemandem, der sich einsam fühlt, weil er nicht über Probleme sprechen kann, obwohl er eigentlich Menschen in seinem Leben hat?
Till: Das ist eine offensichtliche Dynamik, die zur Einsamkeit in Beziehung führen kann. Ich würde im Sinne der Verhaltensaktivierung vorschlagen, das zu üben.
Till: Zum Beispiel vor dem Spiegel: Wie sage ich denn jemandem, wie erzähle ich jemandem von der Sorge oder von Gefühlen, die ich habe? Eine Person, die das noch nie gemacht hat, wird gar keine Idee haben, wie das geht.
Till: Oder ich würde aktiv bei anderen Personen nachfragen, ob denen was auf dem Herzen liegt. Dass ich sozusagen den Raum nicht mit Selbstoffenbarung öffne, sondern mit der Frage nach Selbstoffenbarung vom Gegenüber.
Till: Und noch etwas: Man sollte sich ganz konkret mal überlegen: Was befürchte ich denn könnte passieren, wenn ich von mir erzähle? Da gibt es ja eine Sorge, deswegen tue ich es nicht. Wenn ich das weiß (z.B., dass ich ausgelacht oder beschämt werde), dann weiß ich, was meine Sorge ist, und kann vielleicht diese direkt überprüfen.
platoniq: Was kann man tun, um sich in Beziehungen nicht einsam zu fühlen?
Till: Ich kann vor allem unabhängig davon, warum ich mich einsam fühle, grundlegend überlegen: Was wünsche ich mir denn in Beziehungen? Was mache ich denn gerne in Beziehungen? Bin ich jemand, dem Unternehmungen wichtig sind (Spiele spielen, spazieren gehen) oder bin ich jemand, der eher Gespräche führt (Deep Talk oder Small Talk)?
Till: Wenn ich das nicht weiß, sollte ich Trial and Error nutzen: Ich gehe mal spazieren, an einem anderen Tag nehme ich mir vor, nur zu Hause zu sitzen und tiefgründige Gespräche zu führen, und dann schaue ich, was mir mehr Spaß macht.
platoniq: Berlin wird oft als die Hauptstadt der Einsamkeit bezeichnet. Was hältst du davon?
Till: Ich denke, je größer eine Stadt ist, desto schwieriger ist es, sich verbunden zu fühlen. Verbundenheit geht darüber, dass ich in einen spürbaren Kontakt mit Personen gehe. Das braucht Zeit-Invest. Wenn ich viele Leute um mich herum habe und ständig mit verschiedenen Leuten in Kontakt komme, wird es schwieriger, jemanden besser kennenzulernen. Beziehungen brauchen also Pflege.
platoniq: Wie pflegt man denn Beziehungen?
Till: Das kommt ganz drauf an, mit wem ich sie pflege. Ich versuche herauszufinden: Was ist mir und dem Gegenüber für die Freundschaft wichtig? Und das mache ich. Wenn ich jetzt Dinge tue, die keinem von uns wichtig sind, dann werden wir wahrscheinlich uns nicht ganz verbunden fühlen oder nicht ganz zufrieden sein. Das könnte zu einem abgetrennten Erleben und zu einem Einsamkeitserleben auf lange Sicht führen.
platoniq: Würdest du einem Patienten raten, seine Freundschaft zu beenden?
Till: Ich gebe ja im besten Falle keine Ratschläge, aber ich würde helfen, die Frage zu beantworten. Ja, bei manchen Beispielen ist es ganz offensichtlich: Es kann der richtige oder sogar notwendige Schritt sein, eine Beziehung zu beenden – im Sinne des eigenen psychischen Wohlbefindens.
Till: Wenn ich mich immer wieder einsam fühle in einer Beziehung, obwohl ich viel ausprobiert habe, dann kann es ein Zeichen sein, dass die Beziehung für mich nicht funktioniert und ich die Beziehung beenden sollte.
platoniq: Würden wir weniger Psychotherapie brauchen, wenn wir mehr gute Freunde hätten?
Till: Wenn ich dich ganz wörtlich nehme und Freunde damit Beziehungen meint, die tiefgehend sind und mit denen ich auch zwischenmenschliche Bedürfnisse befriedigen kann, dann bin ich mir ganz sicher: Es wird auf jeden Fall weniger Bedarf an Psychotherapie geben. Definitiv. Wir wissen, dass gute Beziehungen der beste Prädiktor sind für ein langes und glückliches Leben.
Einsamkeit verschwindet nicht einfach so. Sie löst sich, wenn du beginnst, dich selbst und andere wirklich zu verstehen.
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